Rechtsprechung
BVerfG, Beschluss vom 21.08.2006 - Az. 1 BvR 2606/04 (et al.)
Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die (Fach-) Gerichte mit Rücksicht auf eine von ihnen zugrunde gelegte freiwillige und gewichtige Öffnung der Privatsphäre einer Person für eine Medienberichterstattung zu einem Vorrang der mit einer (erneuten) Veröffentlichung von Lichtbildern dieser Person verfolgten Informationsinteressen gelangen.
GG Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art 1 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1; EMRK 10 Abs. 1; KUG § 22, § 23; BGB 1004 Abs. 1
Leitsätze:*1. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht sichert die Selbstbestimmung des Einzelnen darüber, ob und wie er sich in der
Öffentlichkeit darstellt. Dies schließt den Schutz vor Veröffentlichungen von Personenbildnissen durch Massenmedien mit ein.
Der Schutz des Persönlichkeitsrechts unterliegt jedoch den Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG, wozu auch die in §§ 22, 23 KUG enthaltenden
Regelungen über den Umfang der Befugnis zur einwilligungsfreien Veröffentlichung von Personenbildnissen zählen.
2. Der Grundrechtsschutz des Art. 5 Abs. 1 GG entfällt nicht schon deshalb, weil eine Medienberichterstattung allein unterhaltenden
Charakter hat, wobei dieser Umstand bei der Abwägung mit dem Persönlichkeitsrecht allerdings zu berücksichtigen ist. Angesichts der Rolle
der Medien in einer demokratischen Gesellschaft wird dabei bedeutsam, ob Fragen ausgebreitet werden, welche die Öffentlichkeit
mit Rücksicht auf die für die Demokratie wichtige öffentliche Meinungsbildung wesentlich angehen, oder lediglich private Angelegenheiten
ausgebreitet werden, um ausschließlich die Neugier zu befriedigen.
3. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die (Fach-) Gerichte mit Rücksicht auf eine von ihnen zugrunde gelegte
freiwillige und gewichtige Öffnung der Privatsphäre einer Person für eine Medienberichterstattung zu einem Vorrang der mit einer
(erneuten) Veröffentlichung von Lichtbildern dieser Person verfolgten Informationsinteressen gelangen.
4. In welchem Umfang der Einzelne berechtigter Wesie davon ausgehen darf, den Blicken der Öffentlichkeit nicht ausgesetzt zu sein und in
seinem Verhalten nicht Gegenstand einer Medienberichterstattung zu werden, lässt sich nur unter Berücksichtigung der konkreten Situation
und damit unter Einbezug des eigenen Verhaltens des Betroffenen beurteilen. Der Schutz der Privatsphäre kann etwa dort entfallen
oder zurücktreten, wo sich der Betroffene selbst damit einverstanden gezeigt hat, dass bestimmte, gewöhnlich als privat geltende
Angelegenheiten öffentlich gemacht werden.
5. Auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, kann der von Art. 10 Abs.1 EMRK gewährleisteten
Freiheit zur Mitteilung von Informationen größeres Gewicht zukommen, wenn allein eine erneute Veröffentlichung solcher Informationen
in Frage steht, die in ähnlicher Form bereits zuvor verbreitet worden waren.
6. Die Heranziehung der nachträglichen Selbstöffnung der Privatsphäre als einem Umstand, der zum Wegfall der Wiederholungsgefahr als einer
Anspruchsvoraussetzung des auf § 1004 Abs. 1 BGB gegründeten zukunftsgerichteten Unterlassungsanspruchs führen kann, stellt eine
verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Auslegung und Anwendung einfachen Rechts dar.
MIR 2006, Dok. 175
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 03.10.2006
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/393
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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